Der
Bräutigam
Wie
für die Braut beginnt für den
Bräutigam das Hochzeitsfest mit dem “Hennatag”.
Auch er bereitet sich an diesem Tag mit
einem großen rituellen Bad darauf
vor. Analog zur Braut, die als Königin
angesehen und behandelt wird, übernimmt
er die Rolle des Königs. Zwei Männer
dienen ihm als Minister. Sie sorgen für
die Einhaltung des “Protokolls”,
d.h. den richtigen und ungestörten
Ablauf der Zeremonien. Sie sind auch dafür
verantwortlich, daß von der Ausstattung
des eigens für die Männer eingerichteten
Festsaales nichts abhanden kommt.
Als
erstes begibt sich der Bräutigam an
diesem Tag mit all seinen Freunden, die
sein Gefolge bilden, in das öffentliche
Bad, das hammam, um dort die obligatorischen
Waschungen zu vollziehen. Früher schloß sich
für den Bräutigam ähnlich
wie bei der Braut eine Hennazeremonie an,
bei der ihm zumindest eine Hand eingefärbt
wurde. Heute wird bei dem anschließenden
Fest allerhöchstens noch die Spitze
eines kleinen Finger gefärbt. Auch
heiraten die jungen Männer heute zumeist
im konventionellen europäischen Anzug
oder Smoking. Nur der von allen Maghrebinern
mit Stolz getragene Burnus (ein Rundmantel
mit Kapuze), der wie der Anzug neu sein
muß, hat sich in der Bekleidung halten
können.
Am
nächsten Morgen, dem Hochzeitstag, wird
allen Teilnehmern im Haus des Bräutigams ein
Mahl aus Kuskus mit Lammfleisch serviert, bevor
sich alle gemeinsam zum Friseur begeben. Dort bekommt
jeder auf Kosten des “Sultans” einen
neuen Haarschnitt. Dann formiert sich das “Gefolge” aufs
neue, um mit dem Bräutigam in ihrer Mitte
fröhlich lärmend in der Stadt umherzuziehen.
Gegen Abend begibt sich der Zug zur großen
Moschee, wo der junge Mann und sein Gefolge feierlich
das Abendgebet verrichten. Der zumeist zu solchen
Gelegenheiten anwesende Imam (der Vorsteher der
Gemeinde) wünscht dem zukünftigen Familienvater
eine zahlreiche Kinderschar und gibt ihm Ermahnungen
für den neuen Lebensabschnitt mit auf den
Weg.
Während
es in den 60er und 70er Jahren aus der
Mode gekommen war, daß sich der Bräutigam
zu Pferd von der Moschee nach Hause begibt,
wo in der Zwischenzeit seine Braut eingetroffen
ist, erfreut sich diese Sitte seit Beginn
der 80er Jahre wieder einer größeren
Beliebtheit. Sie bietet nämlich während
der Hochzeitsfeierlichkeiten für die
Männerseite praktisch die einzige
Gelegenheit, den etwaigen Reichtum und
das Prestige der Familie einer staunenden Öffentlichkeit
augenfällig vorzuführen. Das
islamische Gesetz untersagt Männern
das Tragen von Körperschmuck sowie
Gewändern aus Seide und Goldbrokat.
Ausgenommen von diesem Verbot sind aber
Sattelzeug, Pferdedecken, Waffen und Bucheinbände.
Wenn die Familie des Bräutigams über
alte, schön gearbeitete Waffen und
Pferdegeschirre verfügt, wird daher
nicht gezögert werden, den jungen
Mann mit einem Dolch oder Schwert umgürtet
auf einem prächtig ausgestatteten
Pferd nach Hause reiten zu lassen. Dabei
wird ein Teil seines Gefolges ihm zu Ehren
alles abfeuern, was die alten Flinten-
und Pistolenläufe herzugeben vermögen,
während der Rest darum bemüht
ist, mit Kerzen und Fackeln dem Festzug
die entsprechend feierliche Beleuchtung
zu geben.
Zu
Hause angekommen, ist in der Regel der
Bräutigam der einzige, der das Haus
betritt. Sein Gefolge zieht sich in den
eigens dafür gemieteten Festsaal zurück.
Der junge Mann wird an der Haustür
von einer nahen Verwandten, der Schwester
oder der Kusine, empfangen und zu seiner
Braut geleitet, der er nun in Anwesenheit
der weiblichen Gäste den Schleier
vom Gesicht nimmt. Nach dieser zweiten djilwa (Entschleierung;
die erste bestand darin, die Braut nach
ihrer Ankunft aus dem sie gänzlich
verhüllenden Tuch auszuwickeln) findet
das bereits beschriebene Zeremoniell des
Kleiderwechsels statt, das aber auch unterbleiben
und an einem anderen Tag durchgeführt
werden kann.
Während
der noch voll im Gange befindlichen Festlichkeiten
zieht sich das Paar begleitet von den Brautjungfern
in das Hochzeitszimmer zurück. Nach
einer ersten, symbolisch gemeinsam eingenommenen
Mahlzeit, bei der das Paar von einem Teller
ißt, wird die Ehe vollzogen. Findet
der junge Mann seine Braut als Jungfrau
vor, belohnt er sie in der Regel mit einem
Schmuckstück. Im gegenteiligen Falle
würden nach den althergebrachten Regeln
die Hochzeitsfeierlichkeiten unterbrochen
werden. Die Braut würde “nach
Hause geschickt” werden, was zugleich
die übliche Redewendung für “Scheidung” ist.
Früher konnte dann die junge Frau
damit rechnen, von ihrem Vater oder Bruder
getötet zu werden, da sie die Familie
entehrt hatte. Doch haben sich die Sitten
inzwischen etwas gemildert. Ein Mädchen,
das keine Jungfrau mehr ist und sich genötigt
sieht, einen Mann zu ehelichen, den sie
nicht kennt und von dem sie daher kein
Verständnis erwarten kann, wählt
von sich aus häufig den Freitod. In
anderen Fällen wird heute zumeist
der Anschein zumindest während des
Hochzeitsfestes gewahrt und die junge Frau
erst kurze Zeit nach den Feierlichkeiten “nach
Hause geschickt”.
Am
frühen Morgen, in der Dämmerung,
holen die Minister des Bräutigams
ihren Sultan wieder ab. Sie begleiten ihn
zum für die Männer hergerichteten
Festsaal. Dort frühstückt der
junge Mann mit seinem Gefolge und verbringt
mit seinen Freunden die restlichen Tage
des
Hochzeitsfests.
Erst
wenn der Alltag in seinem Haus wieder einzieht
und es alle weiblichen Gäste verlassen
haben, kehrt der junge Ehemann zurück,
um von nun an den Verpflichtungen eines
zukünftigen Familienvaters nachzukommen,
d.h. seine Frau und Kinder angemessen zu
unterhalten, sie zu schützen und nach
außen hin zu vertreten.