Die
Hochzeit
Am
nächsten Tag, dem “Hochzeitstag” yaum
al-'urs , wird die Braut mit dem in
der Region üblichen Hochzeitsgewand
bekleidet, das immer rot und/oder mit Gold
bestickt ist. Zu Beginn des feierlichen
Ankleidens schenkt die Mutter ihrer Tochter
in der Regel ein Schmuckstück. Die
anwesenden Frauen geben der Braut ein Geldstück.
Diese Zeremonie hat ein Gegenstück
in der Zeremonie, die “der Kopfkuß” busat
ar-ra's genannt wird. Sie findet im
Haus des Bräutigams am “Tag
der Präsentation” yaum al-'ard,
dem zweiten Hochzeitstag, statt, an dem
die Braut feierlich allen Mitgliedern ihrer
neuen Familie vorgestellt wird. Ihren Namen
hat die Zeremonie “der Kopfkuß” von
dem Umstand, daß die Braut die Turbanbinde
ihres Schwiegervaters küßt (ein
Zeichen der Ehrerbietung und Vertraulichkeit
von Frauen und Männern gegenüber
nahverwandten Respektspersonen, z.B. Vater
und Onkel), nachdem sie Geld- oder Schmuckgeschenke
von ihm und den Brüdern ihres Mannes
bekommen hat. Diese erhalten durch die
Geschenke symbolisch das Privileg, sie
unverschleiert anschauen zu dürfen.
Am
späten Abend geleiten alle weiblichen
Eingeladenen die völlig verschleierte
Braut im Schein einer Öllampe in ihr
neues Heim. Bei den antiken Hochzeitszügen
sollte die vorangetragene Fackel, die am
Familienherd entzündet worden war,
die Fortpflanzung des Lebenslichts auf
die Kinder andeuten. Ihre Symbolbedeutung
hängt mit der dem Feuer zugeschriebenen
reinigenden und Dämonen abwehrenden
Kraft zusammen. Später wurde die Fackel
durch Kerzen oder Öllampen ersetzt.
Sie brennen die ganze Nacht über im
Hochzeitszimmer. Für die Kabylen (eine
Volksgruppe in Algerien, die sich trotz
der Islamisierung und Arabisierung ihre
Sprache bis heute bewahrt hat) symbolisiert
die Lampe den Menschen. Wie er hat die
Lampe einen Körper aus Erde (Ton)
und eine Seele, die durch das Öl dargestellt
wird. Die Flamme repräsentiert den
Geist. Die brennende Lampe soll während
der Hochzeitsnacht umherirrende Seelen
anziehen, die dann in den Schoß der
Frau eingehen sollen. Bei der Geburt eines
Kindes wird die Hochzeitslampe erneut angezündet
und in der Nähe des Kindes aufgestellt.
Die
Braut wird heutzutage meistens von ihrem
Vater in das Haus ihres Bräutigams
getragen. Früher übernahmen diese
Rolle je nach Rang und Status der Braut
auch schwarze Dienerinnen. Dabei geht es
vor allem darum, daß die Braut nicht
mehr den Boden berührt, bis die Ehe
vollzogen ist, insbesondere nicht die Schwelle,
an der übelwollende Geister lauern.
Ab dem Zeitpunkt, da die Braut das Elternhaus verläßt, darf sie ihre
Stimme nicht mehr erheben. Hoheitsvoll wie eine Königin soll sie “stumm” und
mit “gesenkten Augen” im festlich geschmückten Hochzeitszimmer
residieren. Im “Staatskleid” auf einem durch Kissen erhöhten
Platz, umgeben von ihren Brautjungfern, empfängt sie alle, die gekommen
sind, sie zu bewundern. Es ist ihr jedoch erlaubt, sich leise und nicht zu redselig
mit ihren Brautjungfern und Gästen zu unterhalten. Fatiha (eine junge Frau
aus El-Oued) gab für diese Etikette zwei Gründe zu bedenken: Einerseits
würde die Vornehmheit einer Königin nicht sehr glaubwürdig wirken,
wenn sie sich mit ihren Untergebenen durch übermäßiges Geplauder
gemein machen würde oder wenn sie ihre Autorität gar mit Schimpfen
und Schreien durchsetzen müßte. Andererseits ist die ideale Frau fleißig
und nicht tratschsüchtig. Eine Frau soll niemals ihre Stimme erheben oder
ihrem Gatten oder den Schwiegereltern Widerrede leisten, selbst wenn sie im Recht
wäre.
Nun
erfolgt, wie in der oben eingeführten
Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn
und Schems ed-Dîn, die Zeremonie
der djilwa, das ist die Entschleierung
für und durch den Bräutigam.
Nach den ersten Entschleierungen der
Braut in Anwesenheit aller weiblichen
Gäste, bei denen ihr zuerst der
sie gänzlich umhüllende Burnus
oder Haik (ein großes Umschlagtuch
von etwa 1,80 x 3,50 Meter) abgenommen
wird und dann vom Bräutigam der
Gesichtsschleier, wird sie in ein inneres
Gemach geleitet und für den Bräutigam
zurechtgemacht, der ihr den letzten Schleier,
die Jungfräulichkeit, nehmen wird. Die
Zeremonie der djilwa ist das
Kernstück des Hochzeitsrituals.
In vielen Städten des Maghrebs besteht
sie darin, daß außer den
bereits beschriebenen Entschleierungen
die Braut ihre mit Gold und Flitter bestickten
Kleidungsstücke, die sie als Aussteuer
mit in die Ehe bringt, vorführt.
Es sollen mindestens sieben sein. In
der Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn
und Schems ed-Dîn trägt die
Braut all diese Kleider übereinander,
die ihr im Laufe des Abends, Stück
für Stück, abgenommen werden.
In Algerien jedoch fordert der weitestverbreitete
Hochzeitsritus gerade für diesen
Tag die Enthaltsamkeit in der Zurschaustellung
der Aussteuer. Deswegen werden hier die
Kleider von der Braut meistens erst am
Nachmittag des zweiten Hochzeitstages,
dem “Tag der Präsentation” yaum
al-'ard, ihren weiblichen Gästen
vorgeführt, während diese,
jede einzeln, ihr zu Ehren tanzen. Sie
trägt sie an diesem Tag auch nicht übereinander,
sondern begibt sich, nachdem sie ein
Kleid für ungefähr eine halbe
Stunde “präsentiert” hat,
mit ihren Brautjungfern zum Kleiderwechsel
in einen Nebenraum. Dort wird sie von
ihnen jedesmal aufs Neue passend zum
jeweiligen Kleid geschmückt und
geschminkt. Außer dem gelegentlich
mit Tee oder Kaffee gereichten Gebäck
gibt es für jede Frau Kuskus mit
Hammelfleisch. Dieses Gericht wird, je
nach Region, durch mitgekochte Datteln,
Pflaumen oder Rosinen und, wenn ohne
Sauce serviert, durch versteckte Bonbons
versüßt. Alle Gerichte und
das angebotene Gebäck sollen süß sein,
damit die Zukunft des Paares so süß und
angenehm wird wie die angebotenen Speisen.